Ein Mann der klaren Worte räumt seinen Schreibtisch

Johannes Roscher räumt auf. Am Montag ist der Krumhermersdorfer im Ruhestand. Foto: Andreas Bauer
Johannes Roscher räumt auf. Am Montag ist der Krumhermersdorfer im Ruhestand. Foto: Andreas Bauer

"Freie Presse" vom 30. März 2019, von Mike Baldauf

Der Krumhermersdorfer Pfarrer Johannes Roscher geht in den Ruhestand. Sein Engagement für sozial Benachteiligte und Aus- gegrenzte brachte ihm Anerkennung, aber auch Anfeindungen ein.

Seitdem Pfarrer Alfred Hanke in Zschopau vor vier Jahren in den Ruhestand ging, ist Johannes Roscher (65) mehr als ausgelastet. 2015 übernahm der Krumhermersdorfer Pfarrer die Hauptvertretung für die seit 2015 vakante Stelle. Daneben leitet er die Kirchliche Erwerbsloseninitiative Zschopau (Kez). Montags 7 Uhr tritt er dort den Dienst an. Die Woche über hat er die Termine für die Kirchgemeinden mit im Blick. Am Samstag macht er sich dann mal Gedanken über die Predigt, und sonntags steht er auf der Kanzel. Dafür müsse man schon Lust und Liebe mitbringen - und Gelassenheit, sagte er kürzlich einem Journalisten-Kollegen.

Mit alldem soll am Montag nun Schluss sein, wenn der Seelsorger in den Ruhestand geht. Aus dem kirchlichen Dienst will sich Johannes Roscher zurückziehen - zunächst für ein halbes Jahr. Das habe er schon lange angekündigt. Nicht zuletzt, um sich selbst klar zu machen, dass ihm ein Einschnitt bevorsteht.

 

Und was fängt er mit der neu gewonnenen Freiheit an? "Ich habe zuhause einen großen Garten und viele Bücher. An Langeweile werde ich sicherlich nicht sterben. Davor habe ich keine Angst", sagt der Krumhermersdorfer, der inzwischen sieben Enkelkinder hat. Mehr Sorge bereite ihm, dass er dann nichts mehr zu sagen habe. "Damit werde ich erst einmal umgehen lernen müssen. Aber ich habe versucht, mich darauf vorzubereiten und denke, dass es gelingen wird." Immerhin war Roscher Initiator und Mitbegründer der Kez, die er von 1992 an leitete. So richtig wird er nächste Woche aber noch nicht abschalten können. "Hier stapelt sich ein großer Haufen, den ich abarbeiten muss", sagt er und deutet auf einen Berg von Unterlagen vor seinem Schreibtisch. Gelegentlich werde er wohl auch auf eine Tasse Kaffee vorbeikommen. Seinem Nachfolger Thomas Friedemann sagt er Unterstützung zu, falls seine Hilfe gefragt sei.

 

Auch dem Kirchendienst will Roscher nicht auf Dauer fernbleiben. Für den 1. Oktober habe er schon zugesagt, in Krumhermersdorf einen Gottesdienst zu übernehmen. Nach seinem Ausscheiden soll zunächst der Waldkirchener Pfarrer Jens Meyer die Vertretungen in Krumhermersdorf und Zschopau übernehmen. "Wobei die Gottesdienste dann hauptsächlich Ruheständler halten werden", erklärt Roscher. Auch als Integrations- und Ausländerbeauftragter des Landkreises will er weitermachen. Das Ehrenamt bekleidet er seit 2009. Ein paar Jahre zuvor war Roscher von 1999 bis 2004 Beauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für Fragen der Arbeitslosigkeit. Sein Engagement galt stets den sozial Benachteiligten und Ausgegrenzten. Das brachte ihm Anerkennung, aber auch Anfeindungen ein.

 

2008 wurde der Krumhermersdorfer "Arbeitslosenpfarrer" in Berlin mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Dass er ein Mann der klaren Worte ist, bewies er einmal mehr, als er danach im Zschopauer Stadtrat beglückwünscht wurde. "Die Opfer werden von der gleichen Gesellschaft produziert, die Orden für deren Rettung verleiht", begründete er damals die lange Bedenkzeit, bis er die Ehrung annahm. Mit der Hans-Böckler-Medaille erhielt Roscher zwei Jahre später die höchste Auszeichnung des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Iris Kloppich, damals noch Landesvorsitzende, würdigte ihn als "einen Mann der leisen Töne, der sich aber entschieden im Namen der Menschlichkeit in die Belange der Gesellschaft einmischt und neue Wege geht".

 

Doch es gab auch finstere Stunden. Die für ihn dunkelste erlebte der Pfarrer am 19. März 2015. Bei einer Informationsveranstaltung über die Unterbringung von Asylbewerbern in Zschopau sah sich vor allem Roscher, der in der Diskussion selbst nicht immer das richtige Fingerspitzengefühl hatte, immer wieder Beleidigungen und Schmährufen ausgesetzt. "Dass es so schlimm kommen würde, habe ich damals nicht erwartet", sagt Roscher. Die persönlichen Anfeindungen flauten glücklicherweise schnell ab.

 

Als Sternstunde empfand er dagegen stets jene Momente, in denen Förderbescheide für neue Projekte ins Haus flattern. Jüngster Erfolg: Mit der Jugendwerkstatt ist in diesem Monat ein eineinhalbjährige Maßnahme mit drei Vollzeitstellen angelaufen. Junge Leute, die keinen Schulabschluss oder ihre Ausbildung abgebrochen haben, sollen darin auf das Arbeitsleben vorbereitet werden. Bei der vorangegangenen Maßnahme - der Produktionsschule - sind etwa die Hälfte der Teilnehmer wieder auf die Beine gekommen. Und das waren dann auch wieder Erfolgsmomente von Johannes Roscher. (mit fhob/sf/hfn/mbe)

 

Das sagen Wegbegleiter über ihn:

Matthias Zwarg, Leiter des Buchprogramms der "Freien Presse": Als ich Johannes Roscher 1989 kennenlernte, war die Wende in vollem Gange. Wir verstanden uns auf Anhieb und waren mit vielen, die damals das Neue Forum gründeten, einig, dass wir aus diesem Land, aus unseren Städten und Dörfern demokratische, solidarische, mitfühlende, hilfsbereite Orte machen wollten und konnten. Das wiedervereinigte Land stellte bald ganz andere Anforderungen: die hohe Arbeitslosigkeit, zerstörte Lebenspläne, die ersten Flüchtlinge kamen. Die Welt wurde nicht friedlicher - Johannes Roscher hat sich immer für die Schwachen eingesetzt, für die, die sonst keine oder wenige Fürsprecher hatten. Und er hat es nicht bei Worten belassen, hat ganz real geholfen - immer und gegen alle Widerstände und unter persönlichen Opfern. Seine christlichen Ideale sind menschliche Ideale. Das Erzgebirge hat ihm viel zu verdanken.

 

Klaus Baumann, Bürgermeister von 1994 bis 2015: Johannes Roscher hat den Arbeitslosen eine Stimme gegeben und mit seiner konsequenten Haltung gegenüber der großen Politik immer wieder neue Forderungen zur Entschärfung der kritischen Arbeitsmarktlage im Erzgebirge durchgesetzt. Einen wichtigen Teil seiner Arbeit widmete er der Integration von Spätaussiedlern, Ausländern und Asylbewerbern. Auch wenn er häufig Anfeindungen ausgesetzt war, ließ er sich nie von seinem Weg der christlichen Nächstenliebe abbringen. Als es in Zschopau zu fremdenfeindlichen Vorkommnissen kam, stellte er sich in unserem damals gegründeten Aktionsbündnis gegen Rassismus und Gewalt mit in die erste Reihe, um diesen Dingen entschieden zu begegnen. Für mich war er ein manchmal unbequemer, aber stets angenehmer Verhandlungspartner, der zur Umsetzung gemeinsamer Ziele auch ausgleichende Kompromisse eingegangen ist.

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Kommentare: 1
  • #1

    J. Beyrich (Montag, 08 April 2024 11:22)

    Danke Johannes, schön, dass du nun auch in den Ruhestand gehen kannst, hast es dir redlich verdient!
    Viele Grüße von deinen Schulfreund Jörg!